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Deutsche am Amazonas – Abenteurer oder Forscher?

Expeditionen in Brasilien 1800-1914
Canela-Tänzer,  Sgl. Kissenberth
Canela-Tänzer,
Sgl. Kissenberth

1908
Karl von den Steinen, Atelieraufnahme
Karl von den Steinen,
Atelieraufnahme

1884
Schmetterlings-Tanzmaske Káua
Schmetterlings-Tanzmaske
Káua

Sgl. Koch-Grünberg,
1905
Tonkrug
Tonkrug
Kadiveo,
Slg. Rhode, 1884
Die Teilnehmer der 2 Xingú-Expedition
Die Teilnehmer der 2 Xingú-Expedition
1887/88

»Seit fünfundzwanzig Tagen, nahezu einem Monat, sitze ich hier, und wann ich endlich weiterkomme, das wissen die Götter, und vielleicht diese noch nicht einmal!« schrieb der Ethnologe Theodor Koch–Grünberg im September 1903 an den deutschen Konsul in Manaus aus dem kleinen Ort Sâo Felippe am Rio Negro. Transportschwierigkeiten, Krankheit, Zollformalitäten und militärische Zwischenfälle verzögerten die geplante Expedition im Nordwesten Brasiliens. Damals konnte sich der frustrierte Forscher sicher nicht vorstellen, dass diese Reise den Durchbruch in seiner wissenschaftlichen Karriere darstellen würde und er dadurch zum bekanntesten Südamerikaforscher seiner Zeit aufsteigen sollte. Rückblickend erscheint so manche Expedition als zielorientierte Erfolgsgeschichte. Ein genauerer Blick auf die historischen Zeugnisse zeigt, welchen Abhängigkeiten und Zufällen die Forschungsreisenden unterworfen waren und welch großes Maß an Ausdauer, Offenheit und Flexibilität nötig war, um den Schwierigkeiten unterwegs zu begegnen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dienten Expeditionen vor allem der naturkundlichen Erforschung Brasiliens, die Völkerkunde spielte dabei lediglich eine zweitrangige Rolle. Erst ab den 1870er Jahren nahm die Beschäftigung mit fremden Kulturen zu. Dies stand im Zusammenhang mit dem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, der sich durch Industrialisierung, Verstädterung und Globalisierung des Handels bemerkbar machte. Im Bewusstsein dieser Umbruchsituation erwuchs der Wunsch, traditionell lebende Gesellschaften wissenschaftlich zu dokumentieren, bevor sie in den Sog der Moderne gerieten. Daraus entstanden ethnologisch orientierte Expeditionen, die die Aufgabe hatten, fremde Kulturformen zu erforschen und möglichst umfassende Objektsammlungen anzulegen.

Im Frühjahr 2002 eröffnete in der Sonderausstellungshalle des Ethnologischen Museums in Berlin eine Ausstellung über Forschungsexpeditionen in Brasilien, die die organisatorischen, wissenschaftlichen und politischen Hintergründe solcher Unternehmungen beleuchtet. Durch diese Reisen wurde der Großteil der heute ca. 35.000 Objekte umfassenden Südamerika–Abteilung erworben. Die Artefakte, die überwiegend aus Amazonien stammen, bilden eine Sammlung, die zu den weltweit größten, ältesten und wertvollsten ihrer Art zählt. Darunter befinden sich besondere Einzelstücke, die aus künstlerischer und technischer Sicht als Meisterwerke zu betrachten sind. Durch die Rückgabe vermeintlicher Kriegsverluste durch das Museum für Völkerkunde in Leipzig ab 1991 konnten die Berliner Bestände in großem Maße wieder ergänzt werden. Diese international herausragende Sammlung besitzt seit 50 Jahren keine eigenen Schauräume im Museum und ist dadurch in der öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Die Sonderausstellung bietet erstmals wieder einen breiten Einblick in die immensen Bestände aus Brasilien, unter denen sich so mancher verborgene Schatz befindet. Präsentiert werden die Sammlungen des 19. Jahrhunderts, in dem die deutsche Brasilienforschung äußerst erfolgreich und international führend war. Anhand ausgewählter Forscherpersönlichkeiten wie Karl von den Steinen, Theodor Koch–Grünberg und Wilhelm Kissenberth thematisiert die Ausstellung das vitale Interesse des 19. Jahrhunderts an Brasilien. Getragen von einer breiten bürgerlichen öffentlichkeit, wurde die Völkerkunde zu einer äußerst populäre Wissenschaft.

Neben ethnographischen Objekten können historische Fotografien, 3D–Bilder, sowie Ton– und Filmaufnahmen der Forscher gezeigt werden. Dargestellt wird das breite Netzwerk aus Wissenschaft, Politik und Handel, das die Durchführung von Expeditionen in Brasilien erst ermöglichte. Pioniergeist und Mut der Reisenden, die in abgelegenen Gebieten Gesundheit und Leben riskierten, sowie die bis heute erstaunlichen logistischen Leistungen beeindruckten die Zeitgenossen, die die Forscher als Nationalhelden feierten. Darüber hinaus wurden Kenntnisse über fremde Regionen und Kulturen erworben, die die Grundlage für weitere ethnologische Forschung lieferten. Aus der Lust am Abenteuer erwuchs bei den Reisenden die Neugier, die oftmals sehr fremden Menschen näher kennenzulernen, ihre Kultur zu begreifen und sie einem breiten Publikum nahe zu bringen. Dies verband sich bei führenden Forschern mit einem Appell zu Toleranz und Verständnis, der aus heutiger Perspektive ungewöhnlich modern und aktuell klingt. Das wichtigste Anliegen der Ausstellung ist es, diese humanistisch inspirierte Auseinandersetzung mit dem Fremden als eine positive Tradition zu vermitteln.

Zur Homepage: Ethnologisches Museum

Bitte beachten: Dieses Angebot steht im Rahmen des Föderalen Programms nicht mehr zur Übernahme zur Verfügung.

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